Quelle: Kleine Zeitung, Onlinebericht vom 10. Oktober 2022 – www.kleinezeitung.at | Bernd Hecke

Ohne Vorwarnung kam die Behörde mit vier Polizisten ins Haus, um der Mutter ihr Kind abzunehmen. Nun kämpft sie um die Obsorge.

Das ist wohl der Albtraum jeder jungen Mama: Sieben Tage nach der Geburt ihres Sohns kündigt eine Sozialarbeiterin einen Besuch bei der 20-jährigen Mutter an. Sonst gab es für die Obersteirerin keine Vorinformation. Dann kamen vier Polizisten mit in die Klinik (nicht wie zunächst berichtet nach Hause), um der Mutter dort ihr Kind abzunehmen und die Obsorge zu entziehen. „Weder die Frau noch ihre Mutter, die Oma des Säuglings, waren vorinformiert. Sie konnten sich nicht zur Situation äußern, ja nicht einmal vom Baby verabschieden“, sagt die Grazer Anwältin Irmgard Neumann, die die Familie im Kampf um die Obsorge vor Gericht vertritt.

Seitens der Sozialabteilung des Landes, das Aufsichtsbehörde für die Kinder- und Jugendhilfe in der Bezirkshauptmannschaft Murtal ist, sei diese Information der Familie dort aber erfolgt: Die Kindesmutter habe das traurig aufgenommen, sich aber nicht geäußert. Die Großmutter habe dafür kein Verständnis gezeigt. Auch seien die Entscheidungen der Bezirkshauptmannschaft zur Kindesabnahme schlüssig und nicht zu beanstanden, versichert man im Büro der zuständigen Landesrätin Doris Kampus (SPÖ), da die Aufsichtsbehörde den Fall schon unter die Lupr genommen habe.

Inhaltlich kommentiert der stellvertretende Bezirkshauptmann Peter Plöbst von Murtal den Fall nicht, da nun ein Rekurs am Landesgericht Leoben anhängig sei. Aber er vertraue auf die Beurteilung durch die Fachkräfte in seiner Behörde.

So liest sich die Vorgeschichte im Beschluss des Bezirksgerichts Judenburg, das die Kindesabnahme im Juni abgesegnet hat: „So hat schon die Gebärstation des LKH Judenburg mitgeteilt, dass es große Versorgungsdefizite des Säuglings durch die Kindesmutter gebe.“ Eine Gefährdungsabklärung im LKH habe dies bestätigt, daher sei der Bub auf einem Krisenpflegeplatz untergebracht worden. Weder die Kindesmutter (die eine Lernschwäche hat) noch das familiäre Umfeld könnten ein Neugeborenes ordnungsgemäß versorgen, argumentierte die Richterin, die aber noch keine endgültige Entscheidung über die Obsorge gefällt hat.

„Die Kindesmutter war nicht mehr oder weniger im Umgang mit ihrem neugeborenen Sohn überfordert als andere frischgebackene Mütter beim ersten Kind.“ Anwältin Irmgard Neumann

Die Anwältin der Familie kämpft dafür, dass das Baby wieder in die Obsorge seiner Mutter kommt. Für Neumann ist klar, „dass die Kindesmutter nicht mehr oder weniger überfordert im Umgang mit ihrem neugeborenen Sohn war als andere frischgebackene Mütter beim ersten Kind“. Sie bringt Nichtigkeit als Rekursgrund ein, weil die Mutter vor der Abnahme kein rechtliches Gehör eingeräumt bekommen habe.

Auch unrichtige rechtliche Beurteilungen führt sie ins Treffen. Die 20-Jährige habe zwar eine Lernschwäche, aber einen Pflichtschulabschluss und könne – mit Unterstützung durch ihre Mutter – gut für sich selbst sorgen. Vor allem aber liege ein liebevolles, stabiles familiäres Umfeld vor. Die Frau lebe mit ihren Eltern und zwei Brüdern in einem Haus. Die Oma des Babys hat selbst drei Kinder aufgezogen, könne also der Tochter bei der Versorgung des Babys zur Seite stehen. Laut Gesetz seien fremde Pflegeeltern nur mit der Obsorge zu betrauen, wenn Eltern oder Großeltern nicht vorhanden oder für die Obsorge ungeeignet seien.

Besonders leidvoll sei für die Familie die frühe Kindesabnahme, da diese irreparable Bindungsstörungen zur Folge haben könne. „Schlimm ist auch, dass die Pflegeeltern eineinhalb Autostunden entfernt leben und die Mutter ihr Baby nur einmal die Woche besuchen kann“, sagt die Anwältin. Das sei keine Schikane, versichert Plöbst von der BH Murtal: „Wir haben einfach dringend einen Platz gebraucht und dieser war eben frei.“